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Carl Andre

Die Leere umschlossen von den Quadraten aus 3,4,5

27.4. – 6.7.1997
Was wiegt eine gedankliche Figur? Wie schwer sind 50 Eisenplatten? Welches Gewicht hat Erinnerung? Was mag die Leere wiegen, die den kleinen Innenraum der Synagoge in Stommeln derart determiniert. Andre positioniert einen zentralen Satz der Mathematik, eine Basissequenz der europäischen Geistesgeschichte auf den ersten Blick leicht, weil fast zweidimensional in ein Volumen, das angefüllt ist mit Abwesenheit und Erinnerung. Zum anderen aber findet die beinahe skizzenhafte Positionierung ihre Relativierung in dem enormen Gewicht des Eisens, in seiner unbehandelten, industriellen Oberflächenstruktur.

Sobald ein Kunstwerk, ja im Grunde sogar jeder beliebige Gegenstand sich im Inneren der ehemaligen Synagoge befindet, tritt er fast schon zwangsläufig in Dialog mit der historischen Bedeutung dieses Gebäudes. Die Gegenstände erfahren eine Metamorphose, die sich immer in Richtung des Schweren vollzieht. Das ist unter anderem die besondere Anforderung dieses Ortes an den Künstler, dessen Arbeit das historische und emotionale Gewicht parieren können muss, ohne dass die Arbeit durch diese Gravitation ins Offensichtliche und Pathetische verbogen werden kann.

Andres Arbeiten, die gerade mit der besonderen Schwere des Materials Eisen arbeiten und zugleich die Leichtigkeit einer gedanklichen Form, die bar jeder Subjektivität ist, bar jedes offensichtlichen Statements, bar jeder Empathie, in den Raum projizieren, entgehen auf diese Weise dem allzu Schweren, dem Übergewicht aus Betroffenheitsreflex und Erinnerung. Die Subtexte und kulturellen Kontexte eines jeden Gegenstandes, der bewusst in der Stommelner Synagoge positioniert wird, führen zwangsläufig zu einer Form des Statements, - mal pietätvoll, mal provokativ. Welches Statement bringt der pythagoräische Satz an diesem Ort hervor, diese Formulierung einer universellen Gesetzmäßigkeit, die auch jenseits aller Weltanschauungen, Ethnien, religiösen Auffassungen, subjektiven Dispositionen oder sonstiger Befindlichkeiten ihre Korrektheit beibehält?

Andre findet eine nicht profane Balance an einem Ort, der - obwohl seit einigen Jahre Ort der Kunst - Zeichen dafür ist, wie sehr etwas aus der Balance geraten kann. Balance kann zu einem Zustand der Beruhigung, des Ausgleichs führen, eine Balance kann aber auch wie in diesem Falle gerade im Asymmetrischen, in der Spannung ihre fragile Variante finden.

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Diashow (3 Bilder)

Andre,  Ausstellungsansicht, Foto Simone Nieweg

The Void enclosed by the Squares of 3,4,5